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Pliensauvorstadt: Auf der "falschen" Seite des Neckars

Bis vor einigen Jahren hatte der Stadtteil von Esslingen noch einen schlechten Ruf / Heute boomt er - auch das bringt aber einige Probleme mit sich

Pliensauvorstadt: Auf der "falschen" Seite des Neckars

Blick auf die Pliensauvorstadt von der Südkirche aus. Fotos: Barbara Scherer

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ESSLINGEN. Im Namen des Stadtteils liegt noch das Wort Aue, heute durch die Zusammenziehung mit dem Buchstaben S davor, zum weiblichen Tier verkommen. Für den anderen Namensteil soll der alemannische Fürst Pleono gesorgt haben. Doch das ist mehr als 700 Jahre her und bezieht sich auf die historische Pliensau, die im Bereich um die heutige Pliensaustraße liegt. Die Pliensauvorstadt ist also vorgelagert zu verorten, auf der linken Uferseite des Neckars. In den Zeiten der Freien Reichsstadt Esslingen lag auf dem Gelände der Richtplatz der Stadt.

Im 13. Jahrhundert wurde die Pliensaubrücke gebaut, die vom linken zum rechten Neckarufer führte, und notwendig geworden war, da die Esslinger den Hauptlauf des Neckars vor die Stadt umgeleitet hatten, um der ständig wiederkehrenden Überflutungen in der Kernstadt Herr zu werden. Die Brücke begründet den Aufstieg der Stadt Esslingen zur Handelsmetropole, da über das Bauwerk der Händlerstrom zwischen den norditalienischen Metropolen und den westeuropäischen Zentren in Flandern den Fluss überquerte. Viel später war es dann die Straßenbahn der Linie Esslingen-Nellingen-Denkendorf, die über die Brücke rumpelte. Gleisreste im Boden erzählen die Geschichte noch heute. Die Brücke gibt es nur noch halb. Der Teil, der zur Pliensauvorstadt gehört, ist der alte, der denkmalgeschützte Teil, er führt über die B 10. Das angebaute Teil, das zur Innenstadt gehört und über den Neckar und die Bahngleise führt, besteht seit den 70er Jahren. Diesen Teil der Sandsteinbrücke hat man bei der Kanalisierung des Neckars abgebrochen.

Der Stadtteil hat Grünflächen und charmante Architektur zu bieten.
Der Stadtteil hat Grünflächen und charmante Architektur zu bieten.

Mitte des 19. Jahrhunderts krempelte die rasante Entwicklung der Industrialisierung ganze Städte um - auch Esslingen. Am linken Neckarufer, der Pliensauvorstadt, entstanden zahlreiche Fabriken und Produktionsstätten. Die Unternehmer bauten ihre Villen ebenfalls dorthin. Ein Zeugnis der bewegten Zeit geben die denkmalgeschützten Residenzen entlang der Berkheimer Straße. Der frühere Glanz ist allerdings mit der direkten Nähe zur B 10 dahin. Für die Arbeiter entstanden Wohnblocks. Nach dem Zweiten Weltkrieg waren es wiederum viele Geflüchtete, die dort Unterkünfte fanden. Flüchtlinge, Arbeiter, Ausländer diese bunte Mischung führte dazu, dass Alteingesessene der Pliensauvorstadt naserümpfend begegneten: die falsche Seite des Neckars, die Bronx von Esslingen.

Heute ist das vorbei und die Nasenrümpfer von damals werden mittlerweile belächelt. Zuweilen suchen sie vielleicht selbst auch eine Wohnung in den grünen Höfen der Pliensauvorstadt - einem innovativen Wohnprojekt. Der Stadtteil ist mittlerweile zu einem gepflegten Wohnort mit guter Infrastruktur geworden. Man kann sagen, die Vorstadt boomt. Zu verdanken ist das einer klugen Stadtplanung, die mit Hilfe des Bundesprogramms Soziale Stadt Industriebrachen und aufgelassene Fabriken in Wohnraum, Büroetagen und öffentliche Einrichtungen umgewandelt hat. Eine große Fabrikhalle wurde von der Stadt erworben und in ein Bürgerhaus und eine Kindertagesstätte umgebaut. Angrenzend wurden ein Altenpflegeheim sowie betreute Wohnungen für Senioren neu errichtet. Der öffentliche Stadtteilplatz in der Quartiersmitte ist von drei Seiten aus zugänglich, die Granitskulptur ,,Neckarwellen" soll alle Bewohnerinnen und Bewohner der Pliensauvorstadt zum Verweilen, Spielen und Bewegen einladen. Zudem sind in Neubauten Mietwohnungen, Ladenflächen und Praxen entstanden. Ein urban geprägtes Stadtbild ist so entstanden und dank Förderungen bis heute erhalten und aufpoliert.

Die einstigen Nasenrümpfer werden heute belächelt. Der Stadtteil ist mittlerweile zu einem gepflegten Wohnort mit guter Infrastruktur geworden.

Es gibt eine Grundschule, eine Realschule und die Waldorfschule. Mit der Dieselstraße liegt eines der wichtigen Kulturzentren der Stadt in der Pliensauvorstadt. Ein bemerkenswertes Bauwerk, das aus der Vergangenheit der Pliensauvorstadt erzählt, ist die ehemalige Handschuhfabrik Roser, an der B 10 gelegen. Dort sind derzeit Flüchtlinge untergebracht. Etwa 8000 Bewohner zählt der Stadtteil mittlerweile. Damit ist er einer der bevölkerungsreicheren nach der Innenstadt, Oberesslingen und Berkheim.

Beim Wachstum setzen auch die Probleme an. ,,Wir sind ein stark wachsender Stadtteil in Esslingen, allein durch das Bauprojekt Grüne Höfe haben wir mehr als 200 neue Wohneinheiten dazubekommen", sagt Pia Erbil, die stellvertretende Vorsitzende des Bürgerausschusses. „Wir müssen darauf achten, dass Wachstum und Infrastruktur in Balance kommen", sagt sie weiter. Die Infrastruktur sei nämlich nicht mitgewachsen: „Es gibt ab demnächst nur noch einen Hausarzt, einen Kinderarzt sowie eine Apotheke gibt es nicht mehr“, erklärt Erbil. Und die Nahversorgung biete keine Vielfalt, man wünscht sich einen Vollsortimenter.

Mit großer Sorge blickt der Bürgerausschuss deshalb auch auf die Zukunft des Nürk- und die des VfL-Post-Areals in der Pliensauvorstadt. Auf dem Nürk-Areal, das der Discounter Lidl gekauft hat, sollen neben dessen Filiale auch Gewerbeeinheiten, Büros und Wohnungen in einem achtstöckigen Gebäude entstehen. Das ehemalige Sportgelände beim VfL Post soll künftig ebenfalls für eine Wohnbebauung genutzt werden. Die Anwohner in der Nachbarschaft wünschen sich jedoch, dass ein Teil davon auch weiterhin für Sportaktivitäten und Freizeit genutzt werden kann. Barbara Scherer

Rund um die Serie

Motto Die Stadtteil- und Kreisserie der Eßlinger Zeitung steht in diesem Jahr ganz im Zeichen des Landkreisjubiläums. Der Landkreis wird 50 Jahre alt.

Inhalte Die Serie beleuchtet, wie sich die jeweiligen Orte in den vergangenen 50 Jahren entwickelt haben. Dabei wird sich zeigen, wie vielseitig die Kommunen im Kreis sind. Schon allein geografisch, da sich das Gebiet von den Fildern übers Neckartal bis hinauf auf den Schurwald erstreckt. Die Serie blickt nicht nur zurück auf die vergangenen fünf Jahrzehnte, sondern betrachtet auch die Gegenwart. Auch, dass jede Kommune mit eigenen Herausforderungen zu kämpfen hat, wird eine Rolle spielen.

Folgen Die Serie wird bis zum 19. Juli erscheinen. Insgesamt gibt es 23 Teile, die mittwochs und freitags erscheinen. Nächste Folge: Reichenbach. red

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