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Patchwork auf Ansage

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Familie & Leben

Patchwork auf Ansage

Was ist Familie überhaupt? Das alte Bild von Mutter, Vater und zwei Kindern? Längst gibt es andere Modelle, die gut funktionieren können. Beim Co-Parenting spielen weder Liebe noch Sex eine Rolle.

Patchwork auf Ansage

Gianni Bettucci und Christine Wagner haben gemeinsam Tochter Milla. Ein Paar waren die beiden nie. Foto: dpa/Kay Nietfeld

Sie haben gemeinsam ein Kind, ein Paar sind sie aber nicht – und sie waren es auch nie. Eine Familie sind sie trotzdem. Christine Wagner und Gianni Bettucci haben sich vor acht Jahren dazu entschieden, zusammen Eltern zu werden. Verliebt waren sie nie ineinander und Sex hatten sie auch nicht. Die beiden leben in einer Co-Elternschaft. So nennt sich das Konzept, bei dem zwei Menschen ohne Liebesbeziehung ein Kind bekommen und es gemeinsam großziehen. Co-Parenting ist mehr als nur eine Samenspende. „Es ist Patchwork auf Ansage“, sagt die Psychologin Katharina Grünewald.Ein Handbuch, wie so eine Elternschaft auszusehen hat, gibt es nicht – im Gegenteil. Die Co-Eltern können sich nur gelegentlich sehen, ein Elternteil kann weniger Verantwortung übernehmen als das andere. Es gebe aber auch Eltern, die seien zusammen gezogen oder hätten zwei Reihenhäuser nebeneinander gekauft, erzählt Wagner. „In der Mitte haben sie ein kleines Loch gemacht und die Kinder können durch krabbeln.“

Ähnlich ist es auch bei ihr zu Hause: Sie und der Vater ihrer Tochter wohnen in zwei nebeneinander liegenden Wohnungen – verbunden durch eine gemeinsame Wohnküche. Sie ist der Treffpunkt für die drei – und alle anderen, die dazu gehören.

Als der Kinderwunsch von Christine Wagner größer wurde, war sie in einer langjährigen Beziehung mit einer Frau. Gemeinsam gründeten sie die Online-Plattform „Familyship“, über die sie dann letztlich auch Gianni, einen schwulen Theatermanager, kennenlernte. Es sind aber nicht nur homosexuelle Frauen und Männer, die gemeinsam ein Kind bekommen wollen. „Die größte Gruppe sind tatsächlich heterosexuelle Singles, Frauen mit Ende 30“, sagt Wagner über die Nutzergruppe der Plattform.

Letzte Ausfahrt Richtung Familie

Eine von ihnen ist Anna, die ihren echten Namen nicht in der Zeitung lesen will. Sie ist 38 und versucht, gemeinsam mit einem Co-Papa ein Kind zu zeugen. Für sie ist das Modell eine der letzten Möglichkeiten, eine Familie zu gründen. Anna versuchte es zunächst bei einer Samenbank in Dänemark. Aber ihr kamen Zweifel. „Ich hab mich dann gefragt, ob es wirklich das Richtige für mich ist, das ganz alleine durchzuziehen“, sagt die 38-Jährige. Auch die Tatsache, dass das Kind bei einer Samenspende erst mit 18 den Vater kennenlerne, habe ihr zu denken gegeben. Über eine weitere Internet-Plattform fand sie dann den Mann, mit dem sie jetzt eine Co-Elternschaft wagen möchte.

Doch wie ist es, wenn eines der Elternteile eine neue Liebesbeziehung eingeht? Grünewald, die selbst mit ihrem Mann in einer Patchwork-Familie lebt, hofft sogar, dass Liebesbeziehungen hinzukommen. „Wenn ich mir das aus der Kinderperspektive angucke, dann hab ich ja Eltern, die bestenfalls gut funktionieren.“ Die fehlende Liebe zwischen den Eltern empfindet sie als „großes Manko“ an diesem Konzept. „Ich bekomme nicht mit, wie Liebe geht, wenn nicht ein Elternteil in einer Liebesbeziehung ist.“ Gibt es einen neuen Partner oder eine neue Partnerin, ist es wie in jeder Patchwork-Familie: „Wenn man so richtig Teil dieser Familie werden will, dann ist es, glaube ich, ein längerer Prozess“, sagt Wagner. Sie spricht aus Erfahrung, denn Gianni hatte zwischenzeitlich einen neuen Freund, der selbst einen Sohn hat. Sie resümiert: „Die Familienfotos werden breiter und breiter und auch die Definition von dem, was wir Familie nennen, bekommt aufgeweichte Ränder.“ Jennifer Weese

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